Schon in der Keynote war deutlich zu spüren, dass FaceTime das Zugpferd für das iPhone 4 sein wird. Als ich die Vergleiche mit Star Trek und anderen Ski-Fi Streifen hörte und dabei die pure Begeisterung in Steve Jobs‘ Augen sah, konnte ich dies nicht so wirklich nachvollziehen und tat es mit einem Schmunzeln ab: „Merkwürdiges Marketing für ein Feature, dass es schon einige Jahre gibt.“ Insbesondere die Beschränkung auf WLAN stieß mir übel auf. Über WLAN ist Videotelefonie kein Kunstwerk und hat nur einen einschränkten Nutzen. Wo hat man denn schon WLAN zur Verfügung, wenn nicht gerade zu Hause oder bei Mc Donald’s sitzt? Der eigentlich Clou wäre doch die Möglichkeit, FaceTime immer und überall nutzen zu können, egal über welchen Funkstandard man gerade verbunden ist. EDGE fällt da wegen dem geringen Datendurchsatz schon aus technischen Gründen weg. Über 3G/UMTS/HSDPA ist rein technisch die Videotelefonie möglich und auch interessant. Doch leider machen hier die Mobilfunkbetreiber derzeit noch einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, da man, je nach Vertrag, nur ein gewisses Kontingent an Transfervolumen inklusive hat, bis Down- und Upstream gedrosselt werden und FaceTime auch über 3G keinen Spaß mehr machen dürfte.
Mit dem ersten Werbespot für das iPhone 4 drückt Apple mit den rührenden FaceTime-Szenarien mächtig auf die Tränendrüse. Heute machten 4 weitere Spots im Internet die Runde, die ebenfalls ausschließlich auf FaceTime-Momente setzen. Alle Welt stürzt sich auf das grandiose Display und erwähnt FaceTime mehr nachrangig in den Testberichten. Und das ist in meinen Augen auch nachvollziehbar. Denn immerhin kann mein altes Sony Ericsson K850i schon Videotelefonie über UMTS.
Ist das eiskalt berechnetes Marketing?
Da Apple sich ja offenkundig von Sex distanziert, müssen sie andere Themen für die Vermarktung heranziehen. Und da scheint das junge Liebesglück mit dem Ungeborenen, die traute Familie mit dem Kleinkind, die harmonische Familie mit den Großeltern oder einfach augenscheinliche Alltagssituationen noch am besten bei der breiten Masse anzukommen. Emotionen sprechen die Massen an. Was ist denn eigentlich mit dem unvergessliche Urlaub und den süßen Haustieren?
Wie hätte Apple das tolle neue Display großartig vermarkten sollen? Diese kleinen technischen Details sprechen nur die Geeks und Nerds an. Und die kaufen sich das Gerät doch so wie so.
Ein weiterer gravierender Kritikpunkt an FaceTime ist die Einschränkung, dass es ausschließlich von iPhone 4 zu iPhone 4 funktioniert. Ich werde in der näheren Zukunft vermutlich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nur ganz wenige Personen haben, mit denen ich FaceTime verwenden könnte und noch weniger, mit denen ich es auch halbwegs regelmäßig nutzen möchte. Natürlich werden sich dank des offenen Standards bald einige weitere Geräte dazugesellen, die FaceTime sprechen und auch die neuen iPods werden für FaceTime aufgerüstet werden. Doch bezweifle ich, dass es sich wirklich so durchsetzen wird, wie Apple es momentan präsentiert.
Ich bin sehr gespannt, wie es mit diesem „neuen“ Gimmick weitergeht. Gegen eine weite Verbreitung hätte ich jedenfalls nichts einzuwenden, sofern ich in naher Zukunft FaceTime so benutzen kann, wie derzeit die einfache Telefonie.